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Charakteristika der Rasse Border Collie
©-copyright Gisela Norrman
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Bevor Sie weiterblättern, weil diese ersten Zeilen so "verdächtig" nach "Arbeit" klingen,
möchte ich Sie einladen, mir ein wenig in die Welt des Gebrauchshundes Border Collie zu folgen. Ich möchte Ihnen nahebringen, weshalb diese Hunde mit ihrer Arbeitsmethode einzigartig sind und warum diese Hunde
außerhalb ihres Arbeitsumfeldes so oft mißverstanden werden. Und wie außerordentlich schwierig es ist, die Arbeitsqualitäten zu erhalten bzw. zu verbessern.
Der Border Collie arbeitet stumm an der Herde, er "be"-hütet sie nicht nach außen, sondern sammelt und
treibt sie, wohin der Schäfer oder Landwirt die Tiere haben will, sei es für den Weidewechsel, um Tiere herauszufangen, Kühe zum Melken in den Stall und wieder auf die Weide zu bringen, Tiere beim Füttern
zunächst vom Trog fernzuhalten und dann heranzuholen, sie zu verladen oder sie zu behandeln. Er nimmt eine mehr oder weniger geduckte Haltung an, was vom Charakter der zu arbeitenden Tiere abhängt, der Kopf ist
gesenkt und die Rute liegt der hinteren Kontur der Hinterbeine an oder ist etwas unter den Bauch eingezogen. Sein fixierender Blick und die Autorität, mit der er sich auf Tiere zu bewegt, veranlassen diese ihm zu
weichen. Der kontrollierte Biß oder Griff kann bei sehr widersetzlichen Tieren, die den Hund angreifen, erforderlich sein, dient aber zur Verstärkung der Autorität oder als Notwehr und nicht als Mittel zum
Treiben. Bellen ist unerwünscht und bei der Hütearbeit ein Zeichen, daß der Hund seiner Aufgabe nicht gewachsen oder von geringem Können ist.
Die spezielle Hütetechnik des Border Collies setzt sich aus verschiedenen Komponenten zusammen, die bei jedem Hund unterschiedlich ausgeprägt sind und ein unterschiedliches Training erfordern.
Eye (Auge) ist den meisten ein Begriff und wird in der Regel fälschlicherweise mit Hütetrieb
gleichgesetzt. Das Fixieren der Tiere mit dem starren Blick veranlaßt diese, sich von dem Hund abzuwenden,
ihm zu weichen. Es gibt Hunde mit "viel Auge", die oft extrem geduckt arbeiten, und sich angesichts der
bewegenden Tier oft wie paralysiert fallen lassen und Kommandos, die man ihnen gibt, nicht wahrnehmen. Zuviel Auge ist beim Gebrauchshund nicht gewünscht, weil er sich oft beim Vieh nicht durchsetzen kann, da er
sich nicht weiter draufzubewegt, sondern der Faszination" Glotzen" erliegt. Angestrebt wird ein Mittelding, genügend Auge, um konzentriert auf die Tiere einzuwirken, aber offen genug
im Kopf zu sein., um auf Handler und die Reaktionen der Herde zu antworten. Wenig Auge geht in der Regel mit einer aufrechten Arbeitshaltung, bei wenig gesenktem Kopf, locker
hängender oder sogar etwas angehobener Rute und oft geringerer Affinität zum Vieh einher. Manche Hunde erscheinen lose, und vielleicht nicht immer ausreichend arbeitsfreudig. Auge zeigen für sich allein gibt noch
keinen Aufschluß über die Arbeitsqualität eines Border Collies. (Zurück)
Eye und Style
beschreiben die Arbeitshaltung, in der sich Border Collies den Schafen/Kühen nähern. Style ist teilweise angeboren und wird durch Ausbildung und die zu hütende Tierart zusätzlich
beeinflußt. Viel Stil bedeutet, daß die Nase des Hundes fast über den Boden kratzt, die Vorderhand und Hinterhand deutlich gesenkt wird bei eingezogener Rute. Diese tiefe Haltung kann einem Hund immer zu eigen
sein und sieht auch faszinierend aus, da es aber oft mit viel Auge gekoppelt sein kann, kann es nur "heiße Luft" bedeuten. Manchmal wird
diese Haltung auch in Momenten höchster Anspannung eingenommen, bei sehr flüchtigen Tieren und bei Konfrontation. Dann sprühen förmlich die Funken. Je konzentrierter ein Hund ist, desto mehr Stil wird er
entwickeln. (Zurück)
Brains ist ein wesentliches Charakteristikum des Border Collies, die ihn zu den außerordentlichen
Arbeitsleistungen befähigt. Brains umfaßt neben dem Sheep/cow sense seine enorme Fähigkeit zu lernen, was sich nicht nur auf die reine Befehlsausführung bezieht. Border Collies beobachten sehr genau und erfassen
Routineabläufe sehr schnell, nicht immer zum Vorteil, denn diese "ich weiß ja schon, was kommt"-Attitüde
kann den Hund manchmal in echte Schwierigkeiten bringen, da er gegenüber der aktuellen Arbeitssituation unaufmerksamer wird und den Anweisungen nicht gut zuhört.
Brains ist ausgerechnet DIE Eigenschaft des Border Collies neben der überdurchschnittlichen Arbeitsbereitschaft, die ihn häufig als Familienhund scheitern läßt. Dies liegt nicht am Hund, dem diese
Qualität angezüchtet wurde, sondern an der Unfähigkeit seiner Besitzer diesem Merkmal gerecht zu werden.
Die Schlußfolgerung daraus kann nun nicht sein, Brains (und Keenness) wegzuzüchten, um ihn "pflegeleichter =
verkäuflicher" zu machen, denn dann züchtet man den Border Collie in dem schwarzweißen Fell weg, sondern eine passendere Rasse auszuwählen, davon gibt es wahrlich genug. (Zurück)
Sheep oder Cow sense ist ebenfalls eine angeborene Qualität, die durch viel
Arbeitserfahrung natürlich noch verbessert werden kann. Die Hunde erahnen instinktiv die Bewegung der
Tiere und reagieren reflexartig und selbstständig, oft viel schneller als der Mensch. Sheep sense heißt, Tiere
einschätzen zu können, die Arbeitsdistanz zu den Tieren deren Charakter anzupassen, Ausbruchspläne durch
Arbeit an den Druckpunkten zu vereiteln. Ein Hund, der diese Eigenschaft mitbringt, ist ein hochgeschätzter Helfer, dem man in Alltagsarbeiten ein gerüttelt Maß Selbständigkeit zubilligen kann. Der Hund, der nur
wenig davon hat, muß erheblich mehr angeleitet werden. Ist er sehr führig und gelehrig, macht er sich am Ende
einer Ausbildung fast ebenso nützlich, nur muß der Besitzer dann mehr "Sense" für Tiere mitbringen. (Zurück)
Will to please beschreibt die Kooperationsbereitschaft oder Führigkeit dieser Rasse. Diese ist
gerade im Vergleich zu anderen Rassen bei Border Collies enorm. Ich behaupte, daß man für jede andere
Hunderasse "verdorben" wird, wenn man von dieser Eigenschaft verwöhnt wird. Man muß diesen Wesenszug
aber auch kennen und einschätzen können, denn er erfordert auch viel Verantwortung und Feingefühl seitens
des Menschen. Nach außen wirkt Will to please leicht mal als "übertriebene Unterwürfigkeit" oder
"Wesensschwäche", geschönt auch Sensibilität genannt. Da fällt schnell die Bemerkung, daß der Hund wohl
geschlagen würde, und vielen (unerfahrenen) Besitzern fällt der Umgang mit einem "weichen" Hund nicht leicht, weil er viel Selbstbeherrschung erfordert.
Im Arbeitszusammenhang ist Will to please in einer guten Mischung mit Keenness, Sheep sense und Power die Grundvoraussetzung für einen guten Arbeitshund, der sich dann auch in 800 m Entfernung hinter den Schafen
noch exakt lenken läßt. Weder ein Zuviel noch ein Zuwenig ist wünschenswert, wobei hier die Qualität des Ausbilders maßgeblich zum Tragen kommt. Es erfordert einiges Fingerspitzengefühl und gute
Beobachtungsgabe, Border Collies gut auszubilden und zu führen. (Zurück)
Ein "weiches" Wesen gegenüber dem Menschen läßt jedenfalls keine Rückschlüsse auf eine weitere Arbeitseigenschaft zu, der "Power"
. Dies ist einer der am meisten mißverstandenen Begriffe überhaupt, da dieses Wort in unserem Alltagswortschatz eine ganz andere Bedeutung hat und deshalb so erst mal aus
unserem Gedächtnis gestrichen werden muß. Es hat nichts mit Lebhaftigkeit oder Aktivität zu tun, sondern
beschreibt das Ausmaß von Autorität, die ein Border Collie auf die Tiere ausübt, wenn er sich diesen nähert.
Beißattacken des Hundes sind in der Regel ein Zeichen, daß der Hund zu wenig -!- Power und schlechte Nerven hat, was man häufiger bei unerfahrenen Hunden beobachten kann, wenn es zur Konfrontation kommt.
Ausreichende Power bedeutet, daß die Tiere einem solchen Hund ohne Gegenwehr weichen und ihn respektieren. Schafe beispielsweise haben ein feines Gespür dafür, ob sie einen Hund wirklich ernstnehmen müssen. Ein
Hund mit Power wird ruhig und entschlossen auf Tiere zu gehen und nur im äußersten Notfall zupacken. Das kann erforderlich sein, wenn er angegriffen wird, und hier muß man genau beobachten, ob er ohne Zögern dem
Angreifer ins Gesicht fliegt oder den "Nachbarn" zwei Meter daneben greift. Über Power wird viel diskutiert und man muß einen Hund in vielen verschiedenen Arbeitssituationen
beobachten, um diese Frage schlüssig zu beantworten. Es gibt aber, das wird häufig ausgeblendet, auch für
einen Border Collie unlösbare Situationen und da bevorzuge ich den Hund mit Grips, der das auch merkt, und
sich in Sicherheit bringt als auf aussichtslosem Posten plattgewalzt wird (wo der menschliche Grips bleibt, fragt man sich da auch manchmal). (Zurück)
Keenness beschreibt die Arbeitsfreude und Affinität zum Vieh. Sie ist beim Border Collie im Vergleich
zu andere Treibhunden außerordentlich hoch und läßt sich teilweise schon beim Welpen beobachten, wenn er Hühner oder Katzen treiben möchte. Diese Affinität läßt ihn alles andere um ihn herum vergessen, andere
Hunde, Menschen, die ihn streicheln wollen, alles wird ausgeblendet, das Vieh steht im Mittelpunkt seines Interesses. Keenness heißt auch, arbeiten bis zur Erschöpfung, was den Handler in Verantwortung nimmt!
Ohne diesen Arbeitswillen ist der Hund kein Border Collie, doch man muß den Hund auch gelegentlich vor sich
selbst schützen, wenn er nur noch an den Zäunen oder im Stall vor den Buchten klebt, um die Tiere zu glotzen
oder hin und her zu laufen. Ein zuviel und zuwenig davon ist auch hier unerwünscht. Keenness ist aber das, was
einen ansteckt, dieses Feuer im Blick der Hunde, was zahllose Hundeführer auch bei Wind und Wetter auf die Wiese treibt, denn diese Hunde LIEBEN die Arbeit und ihren Menschen geht sie mit Hilfe ihrer
unermüdlichen, fleißigen Partner viel schneller von der Hand. (Zurück)
Die Arbeitsweise des Border Collies setzt sich also aus sehr vielen Komponenten
zusammen und die Qualität der Arbeit ist ein Resultat aus genetischer Veranlagung und der Ausbildung. Die Erblichkeit dieser komplexen Verhaltensweisen ist noch wenig erforscht und auch schwierig zu bestimmen.
Fest steht, das weiß man von anderen Gebrauchshunderassen, daß diese Arbeitsanlagen schnell verblassen, wenn die Zuchtauswahl beispielsweise nur nach Exterieur betrieben wird. Ziel einer jeden
Gebrauchshundezucht muß jedoch nicht nur der Erhalt der Arbeitsanlagen, sondern deren Verbesserung sein! Denn es gibt in jeder Population nur wenige Spitzentiere, aber eine breite durchschnittliche und auch
unterdurchschnittliche Basis. Da diese komplexen Anlagen der züchterischen Bearbeitung viel weniger zugänglich sind als beispielsweise die Größe eines Hundes, bedarf es einer enormen Anstrengung der Züchter,
das Ziel der Verbesserung überhaupt zu erreichen. Je mehr natürliche Arbeitsanlagen in ausgewogener Mischung ein Hund mitbringt, desto einfacher ist es für den Besitzer (auch den Anfänger) einen brauchbaren
Arbeitspartner heranzuziehen. Leider ist das Qualitätsbewußtsein auf Züchter- und Käuferseite noch nicht in dem Maße vorhanden, daß es
sich auf die Zuchtarbeit positiv auswirkt. Im Sinne der vielen Hunde, die dadurch über- oder als Familienhund unterfordert werden, bleibt zu wünschen, daß sich dies mit der Zeit ändert. In der
Landwirtschaft, wo Zeit im wahrsten Sinne des Wortes Geld ist, wird die Nachfrage nach dem Gebrauchshund Border Collie noch steigen, nachdem die Anschaffung dieser Hunde auch von der landwirtschaftlichen
Berufsgenossenschaft wärmstens empfohlen wird, um die schweren Unfälle in der Rinderhaltung zu reduzieren. In der Koppelschafhaltung sind die Hunde schon weiter verbreitet, wobei hier aber noch häufig zum
papierlosen 500DM-Hund gegriffen wird, der oft außer der Farbe wenig vom Border Collie hat. Um hier das Blatt zu wenden, bedarf es allerdings ernsthafter Zuchtarbeit mit hohem Qualitätsanspruch, damit nicht ein
1500-DM-Flop an den Schafen tingelt.
Je mehr Hunde bezüglich ihrer Arbeitsleistung geprüft werden, um so leichter wird sowohl für die Züchter
als auch die Kaufinteressenten die Einschätzung über Qualität und Erblichkeit bestimmter Anlagen in den einzelnen Linien. Denn das haben uns die Briten voraus: sie kennen den Background ihrer Linien.
Es ist und bleibt eine Herausforderung, gut veranlagte Arbeitshunde zu züchten. In der Hütearbeit werden
Mut, Intelligenz, Gesundheit und Leistungsbereitschaft verlangt, Grundlagen einer jeden verantwortungsvollen Hundezucht.
Gisela Norrman
Artikel veröffentlicht im Border Collie Jahrbuch 2000
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